Ich und die Meinen

Ich und die Meinen

Herzlich willkommen!

So, das bin ich! Ich bin Kurt Palfi. Ich habe mir gedacht, jetzt muss mal ein neues Foto her. Leider hat Onkelchen ein Nacktfoto von mir hochgeladen. Aber ich sehe doch noch recht proper aus!
Wir (das sind ich, mein missratener Sohn Gianni Dona und Onkelchen, der alles für uns tippt) lästern in diesem Blog über alles, was gerade anfällt: Fußball, Politik, Film und Fernsehen, alles Mögliche. Viel Spaß!

Freitag, 4. Juni 2010

Freude mit Flugunfällen

Ein Beitrag vom Onkelchen.

Emmer des Gefliege! Vielleicht gibt es ja noch den einen oder anderen, der sich in der S-Bahn zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Flughafen umdreht, wenn in der Nähe unverständliches Gebrabbel zu hören ist.
Als ich noch in Leinfelden arbeitete, pflegte ich mich immer in die Nähe der Leute zu stellen, die sich mit ihren großen Schalenkoffern in den Zwischenräumen vor den Türen breit machten. In breitestem Ostälbler Schwäbisch begann ich dann zu murmeln: „Emmer des Gefliege! Könnet die denn net da bleibe, wo se der liebe Gott hinpflanzt hat? Emmer des Gefliege! Und so g'fährlich! Erst gestern isch wieder eine abg'stürzt!“

Leider war es nutzlos. In derselben Periode stiegen die Passagierzahlen des Stuttgarter Flughafens um stattliche zwanzig Prozent – nicht zuletzt aufgrund der neuen Billigflieger. Vielleicht hätte ich es nicht beim Brabbeln bewenden lassen sollen, sondern hätte anfangen sollen, das Standardwerk „Runter kommen sie immer“ sehr sichtbar im Arm zu halten, ähnlich wie die Jehova-Zeugen es mit ihrem Wachtturm tun.

Vielleicht hätte ich die Leute auch einfach offen ansprechen sollen: „Wussten Sie, dass selbst manche Piloten mit Flugangst zu kämpfen haben?“ Oder: „Was glauben Sie, wie viele Flugzeuge unentdeckte Haarrisse in ihren Triebwerkaufhängungsbolzen aufweisen?“ Oder auch: „Haben Sie schon mal über das Korrosionsproblem der elektrischen Zuführungsleitungen von Treibstoffpumpen nachgedacht?“ Wenn ich ein bisschen mehr Traute hätte, würde ich sogar die Klemmblock-Lösung erwägen. Das heißt, ich würde mit einem Klemmblock durch die S-Bahn laufen und so tun, als wäre ich mit einer hochwichtigen Umfrage betraut. Der sich dabei entspinnende Dialog könnte so ablaufen:

(Schlurf Schlurf)
„Griß Gott, I bin von d'r Landeshauptstadt Stuagert. I mach a Umfrage, um die Notwendigkeit baulich'r Maßnahme für die Verkehrsahbindung des Landesflughafens mit Stuttgart Stadtmitte zu ermitteln. Koi Angscht, es dau'rt koine fömpf Minudda.“
(Unsicheres Nicken der angesprochenen Familie, die ihre Schalenkoffer gerade so eben mit Ach und Krach in die S-Bahn gekriegt hat. Die Leute gehen in den nächsten zehn Minuten sowieso nirgendwo hin und die Ermittlung der Notwendigkeit baulicher Maßnahmen lässt aufhorchen. Vielleicht fahren ja endlich mal mehr S-Bahnen raus auf den Flughafen.)
„Soo – mohl seha. Fahrat Sie naus aufn Flughafa?“
(Die Angesprochenen nicken. Ich tue so, als würde ich ein Kreuzchen auf meinem Bogen vermerken.)
„Fliegat Sie odder hend Sie was anders aufm Flughafa z'toana?“
„Wir fliegen selber.“
(Wieder ein gespieltes Kreuzchen)
„G'schäfdlich oder privat?“
„Privat.“ (Als ob ich das an den Koffern und den mitgeschleppten Kindern nicht sehen würde. Aber ich will ja möglichst pedantisch wirken, deshalb die Frage.)
„Ond wo na?“
(Manche Opfer beginnen hier pampig zu werden. Es empfiehlt sich, auf die Gegenfrage „Was geht Sie das an?“ irgendwas mit „Törminal-Auslaschdong ermiddla“ zu brabbeln. Die Terminal-Auslastung wird zwar mit ganz anderen Kriterien ermittelt, aber das brauchen die ja nicht zu wissen.)
„Mallorca.“
(Diesmal kein Kreuzchen, sondern ich tue so, als würde ich das Wort „Mallorca“ geflissentlich notieren. Dabei murmle ich durchaus verständlich:)
„Des hab I mir faschd denkt, De oi Hälfde fliagt noch Mallorca, de ander en'd Türkei. Jaja, so isch des. Isch Ihne des net zu g'fährlich?“
(Interessanterweise sind es meist die Männer, denen jetzt das Gesicht etwas entgleist. Sie geben meist als Antwort so etwas wie „Wie meinen Sie?“ zurück. Ich antworte:)
„Ha, des Fliega. Isch Ihne des net zu g'fährlich? Ersch letschda Woch hat's wieder an Abschdurz gäbba. Hend Se's net en d'r Zeidong gläsa?“
(Unter Umständen liest das Opfer keine Zeitung, was das Spiel erleichtert. Auf die Gegenfrage „Wo denn?“ empfiehlt es sich meist, ein osteuropäisches Land wie Polen, Ungarn oder die Tschechei zu nennen. Unabhängig davon, ob es wirklich einen Unfall gab.)
„Und was für eine Maschine ist da abgestürzt?“
„Ha, hend Se's net gläsa? A schpanischa.“ (Wären die Leute in die Türkei geflogen, hätte ich natürlich „A türkischa“ geantwortet.)
„Ach, das ist ja nicht so schlimm. Wir fliegen Condor.“
(Eine harte Nuss. Aber auch dafür bin ich gerüstet.)
„Da hend's doch erscht an besoffena Condor-Pilota en Frankfurt aus'm Cockpit g'holt. Wo wollt der nahfliega? War's Mallorca oder Teneriffa?“ (Ich stehe sinnend da, bevor ich mit einer Handbewegung „Na egal“ signalisiere. Die Opfer werden langsam unruhig.)
„So, glei semm'r fertig. Hend Sie Angscht vor Flugunfälle oder terrorischdische Anschläge am Urlaubsort?“
(Eine Frage, die niemand guten Gewissens verneinen kann. Meistens hört man jetzt ein nervöses Lachen.)
„Fliege Sie mit einer so genannta Billig-Ärlain?“
(Jetzt sind sie in der Falle. Wird die Frage bejaht, sage ich:)
„Gell, Sie wisset scho, dass die Kerle an ihre Fliager bloß des Nehdigschde machat.“
(Wird sie verneint, sage ich:) „Oh, da hat's erscht vor kurzem an Beinahe-Unfall mit der Lufthansa gäba.
Beim Flug von Frankfurt nach Müncha send die Landeklappa beim Schdarda net eig'fahra. Die hend omkehra ond notlanda müssa. Des war a ganz haariga Sach. Aber schöna Urlaub.“
(Ich packe den Klemmblock und gebe Fersengeld. Die Familie bleibt völlig verunsichert zurück.)

Dabei bin ich gar kein Umweltaktivist, der den Leuten aus Prinzip das Fliegen vermiesen will. Flughäfen und Flugzeuge faszinieren mich, ich schaue gerne beim Starten und Landen zu – und das ohne Hintergedanken. Man möge mir an diesem Punkt bitte abnehmen, dass ich nicht grundsätzlich gegen das Fliegen bin.

Mir geht etwas anderes ganz schrecklich auf den Zeiger, nämlich die Hektik. Im Job hat man davon schon genug. Man kämpft, sein Zeug rechtzeitig fertig zu bekommen, rennt morgens zum Bus oder Bahnhof, hat mittags kaum Zeit, um sich vielleicht ein Brötchen hereinzuwürgen, und rennt dann abends wieder zu Bus oder Bahn, um sich wieder heim chauffieren zu lassen.
Da wäre es aus meiner Sicht doch das Beste, in der sowieso viel zu knappen Zeit, in der man sich eigentlich von dieser Job-Hektik abkoppeln könnte, doch einfach zwei oder drei Gänge runterzuschalten. Spät aufstehen. Zu Fuß zum Bäcker gehen. Gemütlich frühstücken. Derlei Dinge. Und was macht man? Man plagt sich mit Sack und Pack zum Flughafen, um an irgendeinen Flecken der Welt zu düsen, von dem alle sagen, dass man dort unbedingt mal gewesen sein müsse. Warum, weiß man in der Regel selbst nicht.

Ich war erst kürzlich auf einer dieser Einladungen, um die man als Zeitungsmensch nicht wirklich herumkommt. Dort bleibt es nicht aus, dass Journalisten sich untereinander unterhalten. Und jedes Mal kommt die Rede darauf, was momentan die schärfsten und angesagtesten Clubs in London, Marbella, New York, Moskau, Prag oder wo auch immer sind. Aufs Korn genommen wird dabei stets die provinzielle Enge und der Mief, der unseren deutschen Landen innewohnt und dass man unbedingt da raus müsse. Da werden Reisetipps ausgetauscht wie „Der Pariser Flughafen ist wirklich furchtbar...“, „Nimm bloß nicht den Bus Nummer 63 in Barcelona“, „das Savoy in Dublin ist wirklich das Letzte“ - und zu guter Letzt werden dann die Adressen der absoluten In-Kneipen fast wie Tipps für Optionsscheine an der Börse gehandelt.

In solchen Situationen sage ich dann meist: „Tel Aviv ist auch schön.“ Das stimmt zwar nicht, aber man wird mit anderen Augen angeguckt. So, als hätte man eine Zeitlang als Kriegsreporter gearbeitet. Nach Tel Aviv oder generell Israel trauten sich diese speziellen Club-Urlauber nämlich bisher in der Regel nicht, weil es dort zu gefährlich war.
Die angesagten Clubs pflegten nämlich von Zeit zu Zeit in die Luft zu fliegen. Da es mittlerweile aber auch an anderen Ecken der Welt kracht, könnte der Tourismus in Israel wieder einen ungeahnten Aufschwung nehmen.
Vielleicht höre ich einfach nie gut genug zu, aber über die echten Sehenswürdigkeiten wird in diesen Gesprächen - jedenfalls nach meinem Dafürhalten - nie ein Wort verloren. Auch interessante Museen oder Ausstellungen, so sie denn an den genannten Orten stattfinden, kommen in den Unterhaltungen so gut wie nie vor. Es geht meistens um Kneipen, Clubs und Discos und die Dinge, die man bloß um Himmels willen nie machen sollte, denn sonst erkennen sie vor Ort ja gleich, dass du ein Tourist bist. Und das ist für einen Medienmenschen scheinbar eine Todsünde.

Gleichzeitig schwingt in diesen Unterhaltungen aber noch etwas anderes mit – nämlich die Angst, irgend etwas verpassen zu können. Und das ist nicht nur für Medienmenschen typisch, sondern gilt letztlich für uns alle. Man muss sich nur mal die Reisesendungen auf Vox anschauen – da sagt uns Judith Adlhoch, was in den In-Destinationen (von Reisezielen spricht ja wirklich keiner mehr) unbedingt auf der To-Do-Liste stehen sollte. Sightseeing, ein bisschen was von der Kultur mitbekommen? Bloß nicht, das machen ja schon die ganzen Rentnerbrigaden in ihren Reisegruppen. Das ist so unhip. Zudem muss man ja nachts so viele Clubs abklappern. Und tagsüber bleibt man zur Erholung im Hotel, denn da warten ein paar Wellness-Anwendungen auf den ermatteten Körper. Nachmittags wird eh geshoppt. Aber auch Familienfernreisen an Traumstrände verlieren an Attraktivität, wenn plötzlich das Kind unter Verdacht auf Malaria in die Klinik eingeliefert werden muss, wie es mal einem meiner Kollegen auf den Malediven passierte.

Ich erinnere mich dunkel, dass wir im Deutsch-Abitur eine Texterörterung zum Thema „Vom Reisen“ zur Auswahl hatten und dass auch im Latein-Abi der Seneca-Text übers Reisen ging. Das alte Lied: Reisen bildet, es erweitert den Horizont, man lernt neue Kulturen kennen – der ganze Schmus. Andersrum ist es richtig: In den ach so angesagten Clubs läuft das gleiche Beat-Gestampfe, das man von zu Hause kennt und auch ständig auf MTV dudelt. Auch speise- und getränkemäßig hat sich viel verändert: Früher war eine Fahrt nach Frankreich auch deshalb was Besonderes, weil man da eine Orangina kriegen konnte. Heute gibt's die hier in jedem Supermarkt. Und Shopping-Zentren sehen sowieso überall gleich aus, man kriegt überall denselben Kram. Gut, die schreiend bunten Plastikmöhren, die in den Touristeneinkaufshöllen in
Gran Canaria überall offen feilgeboten werden, habe ich hier noch nie gesehen. Aber das halte ich für keinen Verlust. Die Dinger schraubt man auf und dann steckt da ein Kunstpenis, vulgo Dildo, drin.

Wer kann mir da verdenken, dass ich meinen Urlaub am liebsten auf dem Balkon oder in der näheren Umgebung verbringen möchte? Immerhin besteht ja die Chance, dass man mich nun nicht mehr für einen mittellosen Schlucker hält, dem gar nichts anderes übrig bleibt, als daheim herumzusitzen, sondern für einen Leisure-Time-Avantgardisten. Die Welt kommt über das Internet zu mir, ich muss nicht mehr hinfliegen.

Außerdem frage ich mich, was ich um Himmels willen in Ländern wie Thailand oder Mexiko anfangen soll. Den Mann von Welt zu spielen, während ich meinen eigenen Vorgarten nicht kenne, scheint mir eine etwas schrullige Auffassung von Lebensstil zu sein. Eine Ex-Kollegin erzählte mir mal, sie wolle in Thailand vor allem in Ruhe lesen. „Lesen?“, vergewisserte ich mich: „Richtig wie in Bücher lesen?“ „Ja, lesen!“, krähte die Damals-noch-Kollegin mir ungehalten entgegen. Entgeistert fragte ich: „Kannst du das nicht auch zuhause?“ Es ist schon bemitleidenswert, wenn jemand nur fern von zuhause die Ruhe findet, um ein gutes Buch lesen zu können.

Darüber hinaus ist mir der Papierkram zuwider, der mit Auslandsreisen verbunden ist. Pass. Flugtickets. Hotel-Vouchers, Mietwagen-Vouchers. Führerschein (für den Mietwagen). Internationaler Führerschein. Reiseschecks. Kreditkarte. Passkopien. Zettel mit den Telefonnummern zur Kreditkarten- und Handysperrung. Auf alles muss man aufpassen, sonst droht das Schicksal eines rechtlosen, weil illegalen Einwanderers, der in seinem vormaligen Traumland strandet und nicht mehr raus kommt. Schreckliche Vorstellung. Auf meinem Balkon darf ich dagegen Diktator sein, hier herrsche ich. Zumindest solange, bis die Katzen ankommen.

Außerdem gibt es in Deutschland so viel zu entdecken. Die Schwäbische Alb. Die Fränkische Schweiz. Das Vogtland. Das Bergische Land. Die Mosel. Die Rhön. Den Teutoburger Wald. Das Altmühltal. Den Spreewald. Ostfriesland. Seit kurzem lebe ich nur ein paar Autominuten von einer UNESCOWeltkulturerbe-Stätte entfernt. Wer kann mir da verdenken, dass ich zuhause bleiben möchte?



Der schiefste Kirchturm der Welt steht nicht in Pisa, sondern in Suurhusen (Friesland).

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