Ich und die Meinen

Ich und die Meinen

Herzlich willkommen!

So, das bin ich! Ich bin Kurt Palfi. Ich habe mir gedacht, jetzt muss mal ein neues Foto her. Leider hat Onkelchen ein Nacktfoto von mir hochgeladen. Aber ich sehe doch noch recht proper aus!
Wir (das sind ich, mein missratener Sohn Gianni Dona und Onkelchen, der alles für uns tippt) lästern in diesem Blog über alles, was gerade anfällt: Fußball, Politik, Film und Fernsehen, alles Mögliche. Viel Spaß!

Mittwoch, 23. Juni 2010

WM-Blog: Lasst uns niedersitzen zu Trauermären von der Könige Tod

- das deutsche Vorrunden-Aus, messerscharf analysiert

Liebe Leser, was ihr hier lest, ist ein ungeheuerliches Experiment. Wir sitzen hier als Expertenrunde zusammen und analysieren das deutsche WM-Aus – 24 Stunden, bevor die deutsche Mannschaft überhaupt ausgeschieden ist. Wir haben natürlich intensiv darüber diskutiert, ob wir diesen Versuch wagen wollen – ob wir nach den Gründen für das deutsche Ausscheiden suchen wollen, bevor dieses Ereignis überhaupt eintritt. Da wir das WM-Vorrundenaus des deutschen Teams aber als gegebene und unvermeidbare Tatsache ansehen, haben wir uns dafür entschieden. Wir gehen auch gleich in medias res. Meine Diskussionspartner sind mein missratener Sohn Gianni Dona (GD) und Onkelchen. Hallo.

GD + Onkelchen: Hallo.

Tja, mistige Sache, dieses Vorrunden-Aus. Das schmerzt gewaltig. Woran lag’s?

GD: Man muss akzeptieren, dass das Turnier für diese junge Mannschaft mindestens ein Jahr zu früh kam. Sie hat ohne Zweifel Zukunft und Potenzial – aber sie war einfach den Anforderungen, die ein WM-Turnier stellt, noch nicht gewachsen. In zwei Jahren bei der EM wird das ganz anders aussehen, aber dieses Jahr hat es noch nicht gereicht.

Onkelchen: Ich denke, die Mannschaft war nicht gut ausbalanciert. Wirklich große Teams sind immer eine Mischung zwischen jung und alt, spielerischen und kämpferischen Persönlichkeiten. Bei diesem Team neigte sich die Waagschale zu sehr in Richtung der Jugend und des spielerischen Elements. Das ist gut für Teenie-Magazine, aber Turniere gewinnt man nicht damit.

GD: Es ist immer auch ein bisschen Pech dabei. Das Serbien-Spiel…

Onkelchen: … ging auch deshalb verloren, weil den Jungs der Auftaktsieg gegen Australien zu Kopf gestiegen ist. Zumindest ein bisschen. Die Serben spielten anders, standen enger, unsere Jungs kamen damit nicht zurecht. Dann kam die Gelb-Rote gegen Klose, die Orientierung ging kurze Zeit verloren, es stand 0-1. Khedira schoß noch vor der Pause an die Latte, dann vergab insbesondere Podolski reihenweise gute Möglichkeiten und schließlich noch den Elfmeter. Letztlich wechselte Löw noch Scheiße aus, für Özil und Müller kamen Marin und Cacau .

GD: Was war daran Scheiße?

Onkelchen: Das Timing. Özil hat gegen Serbien bestimmt nicht sein bestes Spiel gemacht, aber nach dem verschossenen Elfmeter gingen die Offensivbemühungen unvermindert weiter, man hatte das Gefühl, dass Özil langsam ins Spiel findet, schließlich hatte er Podolski schon einige gute Vorlagen gegeben. Hätte Löw nur einen der beiden ausgewechselt oder vielleicht einen Stürmer für einen Abwehrspieler gebracht, dann hätte vielleicht noch etwas gehen können. So aber war der Rhythmus der Mannschaft vollkommen gebrochen. Das sah man sehr schnell. Es passierte nicht mehr viel.

Ist denn nun allein dieses eine Spiel schuld an der Malaise?

Onkelchen: Na ja, es ist symptomatisch für einige Dinge, die Joachim Löw – ich sage es mal so deutlich – verbockt hat. Warum spielen wir denn ein 4-2-3-1, wenn man nach der WM 2006 geschworen hat, wir spielen in alle Ewigkeiten 4-4-2? Das 4-4-2 ist dem gemeinen Fußballfan ja von Klinsmann und Löw als Ergebnis höherer Eingebung verkauft worden. Wenn das so ist, warum kommt man davon ab und spielt nur mit einem schwindsüchtigen Stürmer? Wir sehen es ja – fast alle Teams bis auf Argentinien bieten nur noch einen Stürmer auf. Dann brauchen wir doch keine Viererkette, dann können wir mit zwei Spitzen spielen. Das wäre wahrscheinlich die Option gewesen, mit der sich Serbien hätte knacken lassen.

GD: Die Hierarchie im Team war auch unklar. Auf der einen Seite ist Lahm Kapitän, Schweinsteiger aber der Leader und soll den Effenberg geben. Diese Doppelspitze ergibt keinen Sinn. Podolski hat gemacht, was er wollte, egal, ob es Sinn ergeben hat oder nicht. Das sah man beim Elfmeter. Er wollte das Tor unbedingt, weil er schon so viele Chancen versiebt hatte. Damit hat er der Mannschaft keinen Gefallen getan. Es ist insgesamt merkwürdig – mitten im Turnier, in einem Spiel, das auf der Kippe steht, schnappt sich ein unsicherer Kantonist den Ball und sagt „Ich schieß“. Das hätte klar festgelegt gehört, wer zum Strafstoß antritt.

Ihr seht die Schuld also hauptsächlich bei Jogi Löw?

GD: (nickt)

Onkelchen: Das ist vielleicht zu einfach – im Vorfeld ist einiges schiefgegangen, die Mannschaft hatte einige Nackenschläge zu verkraften, man denke an die ganzen Verletzungen, Ballack, Adler, Rolfes, Westermann, Träsch – vergessen wir auch nicht den Tod von Robert Enke. Da kam viel zusammen. Aber ein Trainer ist gerade dafür da, für solche Umstände eine Lösung zu finden. Ich sage nicht, dass wir hätten Weltmeister werden müssen. Das Viertelfinale wäre unter diesen Umständen schon ein anerkennenswerter Erfolg gewesen. Vergessen wir nicht, dass Frankreich auch schon draußen ist. Aber ein Vorrunden-Aus ist zu wenig – vor allem, weil es vermeidbar war.

GD: Die Mannschaft wurde unter Wert geschlagen. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass sich das gegen Ghana bessert. Deswegen sitzen wir ja schon heute hier und sezieren das deutsche Debakel.

Onkelchen: Ich will nicht mal sagen, dass der Mannschaft der Biss oder der Teamgeist oder der Kampfgeist fehlte – das alles war durchaus vorhanden. Ich hatte allerdings nie den Eindruck, dass wir es mit einer echten deutschen Mannschaft zu tun hatten. Bitte nicht falsch verstehen – das hat nichts damit zu tun, dass einige Spieler einen Migrationshintergrund haben, wie man wohl heute sagt.

GD: Das musst du jetzt erklären.

Onkelchen: Das beste Beispiel für das, was ich unter einer „echten deutschen Mannschaft“ verstehe, ist das Team, das die WM 86 in Mexiko gespielt hat. Die sind damals im Vorfeld heruntergeschrieben worden, man traute ihnen nichts zu. Und sie kamen ins Finale und holten einen Zwei-Tore-Rückstand gegen Argentinien auf. Zwei Jahre vorher bei der EM in Frankreich flogen wir ja mit Pauken und Trompeten raus, Trainer Derwall musste gehen, was mir sehr leid tat, und Beckenbauer übernahm. Alle Zeitungen schwadronierten von einem Neuanfang, als würden wir auf einmal wie die Franzosen spielen, die damals wirklich das Maß aller Dinge waren. Man vergaß aber, dass Beckenbauer auch nur mit den Spielern arbeiten konnte, die auch schon Derwall zur Verfügung hatte. Das Word „Rumpelfußballer“ gab es damals noch nicht, man bezeichnete das deutsche Team damals wohlwollender als „Fußball-Handwerker“, die keinen Stich gegen die technisch hochstehenden Konkurrenten machen würden. Der Start ins Turnier war auch wirklich mühsam. Erst rannten unsere Jungs gegen Uruguay 70 Minuten in praller Mittagshitze einem Rückstand hinterher, dann holten sie gegen Schottland im zweiten Gruppenspiel ebenfalls einen Rückstand auf und gewannen 2-1. Trotz einer Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark waren wir weiter (beim 24er-Teilnehmerfeld, das es damals gab, kamen auch die vier besten Gruppendritten weiter, uns reichte es aber zum zweiten Tabellenplatz). Witzigerweise gingen wir den Spaniern aus dem Weg, die Dänemark im Achtelfinale mit 5-1 niedermähten, gingen aber gegen Marokko im Achtelfinale über 120 Minuten, bis uns ein Matthäus-Freistoß erlöste. Im Viertelfinale ging’s gegen Gastgeber Mexiko, ein torloses Gewürge, in dem wir im Elfmeterschießen 4-1 gewannen. Und dann Frankreich im Halbfinale. Die Franzosen hatten ihren Höhepunkt schon bei der EM 1984 gehabt, ihre Stürmer wie Rocheteau taugten nicht viel, weswegen Platini das Toreschießen mit übernehmen musste. Und Platini war 1986 nicht mehr in seiner EM-Form, er war sichtlich zwei Jahre älter geworden und auch die Hitze machte ihm zu schaffen. Und dann kam der Freistoß von Brehme, der unter dem französischen Torwart Bats durchrutschte.

GD: Peter Shilton erlebte etwas Ähnliches vier Jahre später, ebenfalls bei einem Brehme-Freistoß, ebenfalls in einem WM-Halbfinale.

Onkelchen: Witzigerweise war der beste Torwart des Turniers der Brasilianer Carlos, der nur einen einzigen Gegentreffer zuließ. Brasilianische Torhüter sind ja bis dahin oft Gurken gewesen, man denke nur an den Fliegenfänger Valdir Peres 1982. Carlos fand ich 1986 dagegen cool – ein Torwart, der genauso hieß wie der damals meistgesuchte Terrorist der Welt. Egal. Was ich an unserem Team mochte, war, dass es so ein bisschen was von einem „dreckigen Dutzend“ hatte. Das waren keine Filigrantechniker (Magath, Litti und Herget vielleicht ausgenommen), aber es war ein Team. Sie machten sich nichts draus, dass ihnen keiner was zutraute. Man konnte ihnen alle möglichen Widrigkeiten in den Weg werfen, sie kamen damit klar. Sie gaben nie auf. Wenn’s sein musste, spielten sie mit einer Sechs-Mann-Abwehr. Brehme, Briegel, Förster, Berthold, Jakobs hinter und Eder vor der Abwehr. Sie haben wahrscheinlich dem Rest der Fußball-Fachwelt mehr Respekt abgenötigt als die Mannschaft, die 1990 schließlich in Italien Weltmeister wurde. Die anderen haben unsere Mannschaft gehasst und dadurch wurde sie nur noch stärker. Und das fehlt unserem Team heute, auch negative Stimmungen aufnehmen und in positive Resultate umwandeln zu können. Unser Team heute passt zu unserer Gesellschaft, in der die Erscheinung oft wichtiger als die Substanz ist. Nicht falsch verstehen: Unsere Jungs heute können auch Fußball spielen, und das sehr gut. Aber diese Abgeklärtheit, diese Nervenstärke, die die 86er hatten, das fehlt.

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