Ich und die Meinen

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Herzlich willkommen!

So, das bin ich! Ich bin Kurt Palfi. Ich habe mir gedacht, jetzt muss mal ein neues Foto her. Leider hat Onkelchen ein Nacktfoto von mir hochgeladen. Aber ich sehe doch noch recht proper aus!
Wir (das sind ich, mein missratener Sohn Gianni Dona und Onkelchen, der alles für uns tippt) lästern in diesem Blog über alles, was gerade anfällt: Fußball, Politik, Film und Fernsehen, alles Mögliche. Viel Spaß!

Sonntag, 8. April 2012

"Die Tribute von Panem" - Analyse eines Hypes



Es wird wieder einmal Zeit für ein tiefschürfendes Zwiegespräch mit Onkelchen. Heute soll es zur Abwechslung mal nicht um Fußball gehen, sondern um im weitesten Sinne um Kultur. Wir wollen uns nämlich über den Blockbuster „Die Tribute von Panem“ (im Originaltitel „The Hunger Games“) unterhalten, der gerade alle Kinokassen sprengt. Und wir wollen gleich ins Thema einsteigen. Onkelchen, hast Du den Film schon gesehen? 


Abgesehen von ein paar Trailern im Internet habe ich vom Film bisher noch gar nichts gesehen. Mir ist allerdings vor ein paar Wochen auf dem Nachhauseweg ein riesiges Plakat aufgefallen, das auf den Film hinwies. Ich erinnere mich noch, dass ich mir dachte: „Die Tribute von Panem – was für ein behämmerter Titel.“ Da hatte ich noch keine Ahnung, dass das so eine Riesen-Nummer wird. Ich bin erst dann wieder auf den Film gestoßen, als ich – ich glaube, es war auf der Online-Seite der FAZ – eine sehr positive Besprechung des Films las. Erst dann wurde mir klar, dass die „Tribute“ zumindest als Jugendliteratur einen ganz ähnlichen Stellenwert wie die Twilight-Romane oder Harry Potter haben. Ich habe mir dann das erste Buch „The Hunger Games“ auf meinen Kindle geladen. Inzwischen habe ich alle drei Bände gelesen.

Erklär uns mal kurz: Worum geht es in der Trilogie?

Die Handlung, ganz kurz zusammengefasst: In der Zukunft existieren in Nordamerika die Staaten USA und Kanada nicht mehr. An ihre Stelle ist ein Staat namens Panem getreten. Deshalb auch der deutsche Name "Die Tribute von Panem". Panem wird von einem Hauptstadtbezirk, dem sogenannten Capitol, diktatorisch regiert. Der Rest von Panem sind 13 Distrikte. Diese Distrikte beliefern die dekadente Bevölkerung des Capitol mit allen möglichen Waren. Bis auf den Distrikt 13, der wurde während eines Aufstandes praktisch ausgerottet. In Erinnerung an diesen Aufstand müssen die 12 verbleibenden Distrikte jedes Jahr zwei Jugendliche - jeweils einen Jungen und ein Mädchen - als Tribute zu den sogenannten Hunger Games entsenden. Diese 24 werden dann in eine Arena gesperrt. Sie müssen sich dann gegenseitig eliminieren. Regeln gibt es nicht. Wer am Ende als einziger noch lebt, ist der Sieger beziehungsweise die Siegerin der Hunger Games. Das Ganze ist gleichzeitig eine gewaltige Fernsehshow. Alles, was in der Arena passiert, wird in jeden Winkel von Panem übertragen, und das Zusehen ist für alle Einwohner Pflicht. Die Geschichte wird aus Sicht von einem 16-jährigen Mädchen namens Katniss Everdeen erzählt, die aus dem Distrikt 12 stammt, der sehr arm ist. Distrikt 12 versorgt das Capitol mit Kohle. Als ihre kleine Schwester ausgelost wird, um als Tribut an den 74. Hunger Games teilzunehmen, meldet sich Katniss freiwillig als Tribut.

Was ist Dein Eindruck? Ist das nur wieder ein typischer Hype oder steckt mehr dahinter? 

Bis jetzt kann ich nur über die Bücher sprechen. Und da muss man auch unterschieden. Das erste Buch ist ungeheuer intensiv, man ist sofort drin in der Geschichte. Man muss auch sagen: Die Autorin Suzanne Collins ist eine ausgezeichnete Erzählerin, Man merkt das gerade auch, wenn man sie mit anderen Bestsellerautoren wie Dan Brown vergleicht. Es wird alles aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählt, der Leser erlebt die Story wie einen Alptraum, der ihn fortreißt. Es gibt keine langatmigen Erläuterungen dazu, wie das Land Panem aus den Ruinen von Nordamerika entstanden ist, wie es dazu kam, dass die Hauptstadt die anderen Distrikte unterjocht hat. Das ist eine Stärke – man erfährt nur so viel, wie man gerade braucht, um der Geschichte folgen zu können. Es fühlt sich alles so an, als stecke man drin im Kopf von Katniss (der Heldin und Ich-Erzählerin der Geschichte), als erlebe man das hautnah. Das schafft eine unglaubliche Intensität und Unmittelbarkeit, alles ist sehr fokussiert. Für den Leser ist das alles sehr eindrucksvoll.

Das gilt aber nur für das erste Buch! Die Bände 2 und 3 sind deutlich schwächer. Das zweite Buch „Catching Fire“ ist im Wesentlichen eine Reprise des ersten: Da Katniss es in der ersten Runde geschafft hat, die Macher der grausamen Spiele zu überlisten, muss sie (zusammen mit ihrem Freund/Partner/Kamerad/Whatever Peeta) zurück in die Arena, weil das Regime glaubt, sie auf diese Weise unauffällig entsorgen zu können. Der zweite Band erreicht an keiner Stelle die Intensität des ersten, weil sich viele Dinge wiederholen, die man aus der ersten Runde kennt. Und das dritte Buch „Mockingjay“ ist nur noch wirr.

Warum? 

Es geht im dritten Band sehr stark um Politik, um die Revolution gegen das herrschende Regime. Katniss wird zur Symbolfigur des Widerstandes und führt in der zweiten Hälfte sogar eine Kommandoeinheit an, die sich ins Herz der tyrannischen Hauptstadt einschleicht, um den Diktator Präsident Snow zu töten. Am Ende erschießt sie mit ihrem Bogen aber die Präsidentin der Rebellen – und geht straffrei aus. Motivation und Logik sucht man im dritten Band nahezu vergeblich. Ich kann hier nur Sheldon Cooper zitieren: It fails as drama, science fiction and is hopelessly derivative. 


Das hat Sheldon Cooper aber nicht über “Mockingjay” gesagt. Sondern über Babylon 5.

In Bezug auf Babylon 5 kann ich ihm nicht zustimmen, aber wenn er es über „Mockingjay“ gesagt hätte, hätte er zweifellos recht.

Man geht ja davon aus, dass die Hunger Games nun im Film das nächste große Ding nach Harry Potter und Twilight werden. Wie würdest Du das sehen? 


Wie gesagt, ich kenne den Film – noch – nicht, aber nach allem, was man hört, ist es eine gute Umsetzung. Da die Buchvorlage im zweiten und dritten Teil zumindest nach meinem Dafürhalten stark abfällt, dürfte es aber eine ziemliche Herausforderung sein, aus dem Material überzeugende Filme zu machen. Der erste Teil hat einfach Momente, die beim Leser einen unglaublich starken Eindruck hinterlassen, so zum Beispiel Katniss‘ Entscheidung, anstelle ihrer kleinen Schwester Prim, die ja dafür ausgelost wurde, in die Arena zu gehen – und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu sterben.

Oder die ganze Strecke zwischen der Ankunft in der Hauptstadt und dem Moment, in dem die Hunger Games beginnen. Die Tribute – also die Jugendlichen, die für die tödlichen Spiele ausgelost wurden – werden für eine Parade und eine Fernsehshow herausgeputzt. Sie dürfen den Luxus der Hauptstadt genießen und wissen dabei zu jedem Zeitpunkt, dass sie eigentlich zum Morden verdammte Mordopfer sind, um Umberto Eco zu zitieren.

Das ist alles sehr beklemmend und geht dem Leser sehr lange nach. Oder die Stelle, an der Rue stirbt, mit der sich Katniss in der Arena verbündet hat. Gerade die letztgenannte Stelle hinterlässt einen viel stärkeren Eindruck als der Moment im dritten Band, bei dem Katniss‘ Schwester Prim ums Leben kommt. Da entgleist die Geschichte komplett, denn letztendlich wurde alles dadurch ausgelöst, dass Prim im ersten Band als Tribut für die Spiele ausgelost wurde. Prims Tod hinterlässt wie gesagt aber lange keinen so starken Eindruck wie der Tod von Rue.

Ich finde es auch blöd, dass Katniss im dritten Band ein extra Kostüm und ein spezielles Styling braucht, bevor sie in den Krieg gegen das Regime zieht. Da ist man fast versucht zu sagen: Typisch Mädchen!

Warum wird Hunger Games so gehypt? Das Medienecho ist ja gewaltig. 

Zunächst mal sicher deshalb, weil Katniss eine weibliche Heldin ist. Das gibt es nicht so oft, die Genres Science Fiction und Fantasy sind ja ziemlich männlich dominiert. Nein, Katniss ist ein starker weiblicher Charakter. Das wird von der Presse wohlwollend zur Kenntnis genommen. Katniss ist aber auch nicht übermäßig idealisiert – eigentlich trifft sie in der ganzen Geschichte nur eine einzige moralische Entscheidung, nämlich die, anstelle von Prim in die Arena zu gehen. Ansonsten sind ihre ganzen Handlungen vom Gedanken bestimmt, zu überleben. Sie ist insgesamt ziemlich opportunistisch. Sie hält sich zwar aus dem übelsten Gemetzel heraus. Aber nicht deshalb, weil sie nicht töten kann oder will, sondern weil sie sich realistischerweise bessere Chancen ausrechnet, indem sie sich bedeckt hält. Sie ist durchaus in der Lage, kaltblütig zu töten. Das sehen wir, wenn sie den Mörder von Rue umbringt.

Amüsant ist, dass wir in den „Hunger Games“ eine ironische Brechung beziehungsweise Umkehrung des literarischen Topos der „Damsel in Distress“ erleben. Katniss ist eine Überlebenskünstlerin, weil sie nach dem Tode ihres Vaters dafür sorgen musste, dass ihre Familie nicht verhungert. Deswegen ging sie auf die Jagd, erlegte Wild mit Pfeil und Bogen und ist somit eine mehr als kompetente Kämpferin. Peeta, der Bäckerjunge, zusammen mit ihr als Kandidat für den Sektor 12 ausgelost wurde, hat diese Fähigkeiten nicht – sie muss ihn sogar beschützen. Hier schützt also das Mädchen den Jungen, anders als es in der Genreliteratur üblich ist.

Viele wohlwollende Kritiker in den Zeitungen sehen in dem Film vor allem eine Mediensatire auf die allgegenwärtigen Casting- oder Reality-Shows wie das Dschungelcamp. Diese Sichtweise greift aber zu kurz. Ich finde es hochinteressant und bemerkenswert, dass eine – wohlgemerkt, amerikanische – Autorin das Thema der Ungleichheit thematisiert. Die materielle Not der Menschen im Distrikt 12, in dem Katniss lebt und aufwächst, ist gewollt. Das Regime der Hauptstadt, deren Bewohner in Saus und Braus leben, hat ein hohes Interesse daran, dass sich an den Verhältnissen nichts ändert. Das ist nicht so sehr eine Parabel auf irgendwelche totalitären Regimes der Vergangenheit, sondern auf den Kapitalismus der Gegenwart, in dem zum Beispiel internationale Konzerne in Chile Lachsfarmen anlegen, die die Lebensgrundlagen der örtlichen Fischer zerstören.

Es ist auch eine Kritik am Jugendkult und dem Schönheitswahn, denn die Bürger der Hauptstadt sind ganz verrückt danach, sich operativ verschönern zu lassen und den jeweils trendigen Look auszuprobieren. Sie sprechen auch total affektiert, ganz ähnlich wie die oberflächlichen„Valley Girls“ in Kalifornien. Katniss fragt sich an einer Stelle: „Why do the ends of their sentences go up as if they’re asking a question?” Das ist dem Soziolekt dieser “Valley Girls”, dem sogenannten Valspeak, abgelauscht (Angeblich soll auch George W. Bush sich dieser Inflektion, dem sogenanten High Rising Terminal, immer wieder bedient haben). Da steckt also ziemlich viel drin, aber unsere Journos können darin nur eine Mediensatire erkennen. Sie raffen halt nicht, dass sie selber damit gemeint sind. Aber ich bin skeptisch, dass sich das alles im Film transportieren lässt.

Die Buchvorlage hat dich also beeindruckt? 

Das erste Buch stellenweise ja. Wie gesagt, es gibt Momente, die einen nicht leicht loslassen. Aber es gibt auch Ungereimtheiten. Zum Beispiel ist immer wieder von den „Career Tributes“ die Rede. Das sind Jugendliche aus den wohlhabenderen Bezirken des Landes Panem, die ganz bewusst auf die Teilnahme an den Spielen hinarbeiten. Ich halte das für nicht sehr logisch. Plausibler wäre es doch, wenn Jugendliche aus den ärmeren Bezirken in den Spielen eine Karriereoption sähen. Gerade im Distrikt 12, wo Katniss und Prim aufwachsen, wo Hunger und Minenunglücke quasi an der Tagesordnung sind, haben die Menschen nichts zu verlieren. Dort müsste also die Motivation viel größer sein, an den Spielen teilzunehmen, als in den reicheren Distrikten. Katniss sagt an einer Stelle selbst sinngemäß, dass sie lieber durch eine Kugel sterben würde als zu verhungern. Gleichzeitig verachtet sie die Career Tributes. Da passt was nicht zusammen.

Und an einer anderen Stelle entgleist die Geschichte geradezu. Katniss ist verwundet und Thresh, der Junge aus Distrikt 11, hätte leichtes Spiel mit ihr. Er verschont sie aber, weil Katniss Threshs Kameradin Rue gerächt hat (Rue kam aus demselben Bezirk wie Thresh). Das ist völliger Stuss! Es ergäbe viel mehr Sinn, wenn Thresh Katniss einen schnellen, sanften Tod geben würde. Denn Katniss ist für ihn ja selbstverständlich nach wie vor eine Konkurrentin. So wie die Hunger Games konfiguriert sind, ist es eine Er-oder-ich-Situation. Denn nur der letzte, der übrig bleibt, darf überleben.

Auch die letztendliche Auflösung, in der Katniss und Peeta mit Selbstmord drohen, als beide als letzte übrig sind, kommt mir wenig glaubwürdig vor. Das ist sehr konstruiert und übermäßig dramatisch. Wahrscheinlich hätte es zum selben Ende geführt, wenn beide einfach ihre Waffen niedergelegt hätten, so nach dem Motto „Genug gemordet“. Eine Publikumsentscheidung per TED (grins) hätte dann schon dazu geführt, dass beide Hand in Hand aus der Arena wandeln dürfen. Der dramatischen Drohung, dass sich beide mit giftigen Beeren ins Jenseits befördern, hätte es also gar nicht bedurft. Außerdem traue ich es Katniss durchaus zu, dass sie mit halbgeöffnetem Auge rüberblinzelt und wartet, bis Peeta als erster in die tödlichen Beeren beißt. Sie muss ja nur einen Sekundenbruchteil abwarten. Und sie hätte gewonnen. Wie gesagt – Katniss ist eine ziemliche Opportunistin.

Schönen Dank, Onkelchen. Schaust Du dir den Film dann mal an? 

Ich weiß nicht. Ich empfand die Bücher als ziemlich deprimierend. Ob ich mir den Film dann auch antue, muss ich mir gut überlegen.

1 Kommentar:

MartinBartonitz hat gesagt…

Vielen Dank für Diene Rezension, die ich gut teilen kann, besonders einen Teil, den ich in meinem Artikel mitverwendet habe:
Die Tribute von Panem -Teil 2 – Sutherland ruft zur Rebellion auf – eine andere Kritik
Viele Grüße
Martin